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Besuch im Museum der 100 Tage

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Bereits im August 2011 hatte die Abteilung Kultur- und Medienbildung Zimmer in der Jugendherberge gebucht und das Seminar zur Documenta ausgeschrieben. Im Juni 2012 war es dann endlich so weit: Zwanzig junge Frauen, darunter neunzehn Studentinnen der Kultur- und Medienbildung und eine Studentin des Faches Kunst, reisten für fünf Tage nach Kassel, um die größte Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu erleben. Der Ausstellungsbesuch war eingebettet in ein Seminar, das Professor Dr. Stephan Buchloh und Vertretungsprofessorin Dr. Monika Miller leiteten; sie wurden unterstützt von der Akademischen Mitarbeiterin Kathrin Leipold. Neben der Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst bestimmte ein zweites Ziel das Exkursionsseminar: Es bestand darin, nach mehrtägiger Recherche ein Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage Besucher durch die Ausstellung geführt werden können.

Kunstwerke im Park und im Kaufhaus
Alle fünf Jahre steht Kassel ganz im Zeichen der Documenta – für die diesjährige Ausstellung haben die Veranstalter eine ganz besondere Schreibweise vorgesehen: „dOCUMENTA (13)“. Der Anspruch der Documenta besteht in der Dokumentation zeitgenössischer Kunst; sie soll ein „Museum der 100 Tage“ sein. Dabei soll sie dem aktuellen und sich stetig wandelnden Kunstbegriff gerecht werden. In Jahr 2012 sind über 150 Künstler beteiligt, die ihre Werke an den unterschiedlichsten Standorten in der Stadt zeigen. Besonders intensiv wird in diesem Jahr die Karlsaue als Ausstellungsort genutzt, ein großer Stadtpark am Rande des Zentrums. Neben den traditionellen Ausstellungsorten wie dem Fridericianum – dem Kern der Documenta – können hier die Kunstwerke an verschiedenen Stationen, oft in kleinen, eigens errichteten Holzhütten, erkundet werden. Daneben sind auch das Naturkundemuseum der Stadt, die für eine frühere Documenta errichtete Documenta-Halle, die Neue Galerie, die Orangerie in der Karlsaue und viele weitere Standorte in der Innenstadt Schauplätze der Ausstellung. Auch Räume, in denen man Kunst nicht unbedingt vermutet, gehören dazu: alte Lagerhallen am Hauptbahnhof, ein ausgedientes asiatisches Restaurant oder das Obergeschoss eines Kaufhauses. Damit löst sich die Kunst aus sterilen, weißgestrichenen und temperierten Ausstellungsräumen und wird stattdessen in der ganzen Stadt erlebbar – eine Art und Weise, Kunst zu präsentieren, für die sich die Studentinnen sehr begeistern konnten.

Zerstörung und Wiederaufbau als Motto
Die diesjährige Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev gestaltete die Documenta unter dem Titel „Zerstörung und Wiederaufbau“ („Collapse and Recovery“) – einem der wenigen „offiziellen“ Anhaltspunkte, mit dem man sich der Ausstellung nähern kann. Aufgabe der Studentinnen war es, sich einen intensiven Eindruck von der Konzeption der Ausstellung zu machen. Welche Werke wurden warum ausgewählt? Wie findet Kunstinszenierung auf der Documenta statt? Welche Rolle spielen Neue Medien? Wie wird das Verhältnis von Kunst zu Leben und Alltag dargestellt? Diesen Fragen sollten die Teilnehmerinnen nachgehen, um einerseits die Ausstellung kritisch zu beleuchten und andererseits Anregungen für das eigene „Führungskonzept“ zu bekommen. Für das Exkursionsseminar hatten die Seminarleiter eine Textsammlung erarbeitet, mit der sich die Studentinnen vorbereiten konnten. Täglich gab es zwei intensive Seminarsitzungen. Die Teilnehmerinnen konnten sich mehrere Tage die Fülle der Künstler und Ausstellungsorte ansehen und sich dabei – akademisch angeleitet – mit der Documenta auseinandersetzen.

Seminar in der Jugendherberge
Zu Beginn der Woche reisten die Studentinnen aus Ludwigsburg an. Unterkunft für die kommenden Tage war eine Jugendherberge nahe dem Stadtzentrum, die auch als Treffpunkt für die täglichen Besprechungen diente. Am Dienstag und Mittwoch erkundeten die Studentinnen weitgehend selbständig das Gelände. Die gesammelten Eindrücke wurden an einem vereinbarten Treffpunkt ausgetauscht und diskutiert. Auch am Abend fand ein gemeinsames Seminargespräch statt, bei dem die Studentinnen die Eindrücke des Tages reflektierten und die Seminarleiter Hintergrundinformationen zu den Künstlern und Kunstwerken bereitstellten. Am Donnerstag entwickelten die Exkursionsteilnehmerinnen in Kleingruppen Konzepte für Ausstellungsführungen. Der Abend klang leider etwas deprimierend aus: In der Jugendherberge und in verschiedenen Kneipen schauten sich alle das Halbfinalspiel der Fußballeuropameisterschaft Italien gegen Deutschland an – es endete bekanntlich mit 2 : 1 für Italien.

Konzepte für Ausstellungsführungen
Die „Führungskonzepte“ sollten am Freitag schließlich praktisch angewendet werden: Rund dreißig Kunststudierende der PH Ludwigsburg kamen in Begleitung der Dozenten Professor Dr. Hubert Sowa, Professorin Dr. Ulla Gohl-Völker, Dr. Thomas Bickelhaupt und Marc Benseler nach Kassel. Die Gruppe hatte nur einen Tag Zeit für die gesamte Ausstellung – nun lag es an den Exkursionsteilnehmerinnen, eine Auswahl der wichtigsten und spannendsten Kunstwerke zu treffen. Die Kleingruppen berieten, welche Gebäude sich lohnten und welche Werke in welcher Reihenfolge gezeigt werden sollten. Die Führung sollte auf zwei bis drei Stunden angelegt sein, um den Ausflugsteilnehmern einen möglichst kompakten und schnellen Überblick zu geben. Die Studentinnen bereiteten dafür Übersichtspläne für das Gelände vor, auf denen sie die lohnenswertesten Ausstellungsstücke markierten, und eigneten sich Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Werken und Künstlern an. Wichtig war es, mit den Ausflugsteilnehmern in ins Gespräch zu kommen und keinen sturen Vortrag zu halten.

Tagesgäste aus Ludwigsburg
Jeweils eine Studentin fand sich mit ein bis zwei Tagesgästen aus Ludwigsburg zusammen, um sie durch die Documenta zu führen. Zu Beginn nannten die Studentinnen den Schwerpunkt der jeweiligen Führung. Während die einen zum Beispiel ihren Schwerpunkt auf das Fridericianum, den Kulturbahnhof und die Documenta-Halle legten, war bei anderen das Fridericianum in der Führung gar nicht vorgesehen, dafür aber die Karlsaue.
Für die meisten war es wohl eine ganz neue Erfahrung, eine solche Führung zu erleben. Sowohl für die führenden Studentinnen, die ihr eigens entwickeltes „Führungskonzept“ an den Tagesgästen ausprobieren konnten, als auch für die Tagesgäste, die sich darauf einlassen mussten. Für die Studentinnen, die sich in den letzten Tagen intensiv mit der Documenta auseinandergesetzt hatten, war es spannend, nun die Reaktionen der Tagesgäste zu beobachten. Wie wirken die Kunstwerke auf sie? Welchen Eindruck haben sie von der Documenta? Wie von alleine entstanden die Dialoge, von denen die Führungen leben sollten. Man kam ins Gespräch darüber, wie unterschiedlich man manche Dinge wahrnimmt, oder man machte auf Neues aufmerksam. So konnten nicht nur die führenden Studentinnen zu neuen Erkenntnissen beitragen, sondern auch die Tagesgäste mit ihren eigenen ganz neuen Blickwinkeln. Nicht die Wissensvermittlung, sondern der gegenseitige Austausch über das Gesehene und Erlebte wurde so zum Schwerpunkt der Führungen.

William Kentridge und seine Installation
Obwohl nicht alle Führungen gleich waren, gab es ein paar Kunstwerke, die von beinahe allen besichtigt wurden. Ein Zeichen dafür, dass sie die Studentinnen auf besondere Weise angesprochen hatten. Eines dieser Werke war „The Refusal of Time“ des südafrikanischen Künstlers William Kentridge. Seine Installation, die sich mit Themen wie Zeit, Schicksal und Vergänglichkeit befasste, war im Nordflügel des Kulturbahnhofs aufgebaut. Im Zentrum der Installation befand sich eine Maschine, die ständig in Bewegung war und den Betrachter an eine Beatmungsmaschine erinnerte. Im Raum verteilt standen Stühle, von denen aus man Filme sehen konnte, die jeweils an drei Wände projiziert wurden. Zu sehen waren zum Beispiel Schattenspiele oder Trickfilme, die den Betrachter dazu anregten, über das Thema Zeit nachzudenken. Der Raum der Installation war eine alte heruntergekommene Lagerhalle, die nicht beleuchtet war. An den Decken hingen Lautsprecher, die den Raum mit besonders eindringlicher Musik füllten. Der Zuschauer war so von einer ganz besonderen Atmosphäre umgeben, die vielleicht ausschlaggebend dafür war, dass beinahe alle Studentinnen und Dozenten an diesem Freitag dorthin geführt wurden.

Angeregte Gespräche und viele neue Eindrücke
Die Führungen wurden an unterschiedlichen Orten beendet. Am Nachmittag blieb es den Tagesgästen selbst überlassen, die weiteren Empfehlungen der Exkursionsteilnehmerinnen zu besichtigen. Die Seminarteilnehmerinnen fanden sich zu einem letzten Treffen in der Jugendherberge ein, um die Führungen und die ganze vergangene Woche zu reflektieren. Sowohl den Tagesgästen als auch den Studentinnen, die fast eine Woche in Kassel verbracht hatten, gefielen die Führungen am Vormittag sehr gut. Einzelne Tagesgäste hätten sich noch mehr Hintergrundwissen gewünscht. Die Gespräche wurden als spannend und aufschlussreich empfunden. Die Studentinnen nahmen die Exkursion als sehr positiv wahr und empfanden die Besichtigung der Documenta als wertvolles Erlebnis. Müde, aber vor allem mit vielen neuen Eindrücken traten sowohl die Tagesgäste als auch die Exkursionsteilnehmer am Freitagabend die Heimreise an.


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